Nicht zu bremsen
Herbert Schmoll kämpft gegen die Verkehrspolitik – und auch mit sich selbst
Frankfurt – Manchmal bereut Herbert Schmoll seinen Kampf gegen die Mainkai-Sperrung, gegen diese „Dummheit“, wie er schimpft, gegen „diese Ungerechtigkeit“, wie er sich empört, gegen Staus, Abgase und diesen Lärm in seinem Sachsenhausen. Herbert Schmoll schimpft gern, er empört sich oft, ein Temperament wie seines ist Kraftspender und Kraftrauber gleichermaßen. „Ich kann da nicht aus meiner Haut“, sagt er – und winkt ab: „Was soll‘s!“
Seit fünf Jahren mischt sich Herbert Schmoll in die Verkehrspolitik dieser Stadt ein, sammelt unablässig Argumente für sein Anliegen und das seiner Mitstreiter, pflegt sie ein auf zwei eigenhändig gestalteten Internetseiten, streitet auf Podien und bei Bürgeranhörungen in den Ausschüssen der Stadtverordnetenversammlung, hat Zeitungen wie dieser reichlich Interviews gegeben. Längst hat er es in der Stadt zu Prominenz gebracht, längst meldet er sich zu anderen Themen lautstark zu Wort.
Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) hat er neulich einen offenen Brief geschrieben, weil sie in einem Interview zu den Gewalttaten wie in Aschaffenburg und München sagte: „Es gibt keine guten und schlechten Migranten, es gibt Menschen.“ Ein Schlag ins Gesicht vieler Migranten sei das, findet Schmoll. Seine Frau sei Lehrerin und erlebe, wie die vielen guten Migranten unter den wenigen schlechten Migranten litten. „Wie kann man wenige Tage, nachdem einer dieser ,Menschen‘ mit einem Auto mit Vollgas in eine Demo fährt, sorglos demonstrierende Leute schwer verletzt, eine Mutter mit ihrem Kind totfährt, so einen Schwachsinn absondern?“
Und plötzlich ein Schuss vor den Bug
Eine gute Woche nach diesem Brief sitzt Herbert Schmoll, Jahrgang 1951, einst bei IBM im gehobenen Management tätig und nach wie vor beruflich aktiv als selbstständiger Headhunter, in seinem Wohnzimmer in Sachenhausen, über sich ein Gemälde seiner Wahlheimat Frankfurt, und dämpft die ohnehin ruhige Stimme noch ein wenig mehr. Sitzt man ihm zum Gedankenaustausch gegenüber, erscheint er ja überraschend defensiv, abwägend, eher als reflektierter Typ. „Ich hätte eine größere Karriere im Beruf machen können, wenn ich diplomatischer wäre.“ Solche Selbstauskünfte gibt er da. Wer ihn öffentlich erlebt hat, weiß, was er meint.
Vor einem Jahr, an einem frühen Sonntagmorgen, trieb es ihn wie so oft an seinen Laptop, schrieb er sich wie so oft den Verkehrsfrust von der Seele, als vor seinen Augen plötzlich alles verschwamm. Es war ein kleiner Schlaganfall, ein Schuss vor den Bug, wie man so sagt. Er versucht seither, kürzerzutreten, sich nicht so aufzuregen. Aber aufhören? „Nicht so kurz vor dem Ziel“, sagt er. Die Frankfurter CDU ist auf seiner Seite, die Mehrheit im Ortsbeirat 5 ohnehin. Ihren Plan, den Mainkai jedes Wochenende zu sperren, hat die Stadt bereits aufgegeben. „Und mal schauen, wer die nächste Kommunalwahl gewinnt“, sagt Herbert Schmoll wie einer, der sich auf den verdienten Lohn freut. Ungefähr drei Arbeitsmonate habe ihn das alles gekostet. Er hat das mal hochgerechnet. Sein Hobby Golf hat gelitten, die Enkelkinder haben gelitten, seine Frau, sie ist Gesellschafterin im Zwei-Personen-Unternehmen, ermahne ihn oft genug zur Mäßigung, ihr zuliebe, ihm zuliebe, auch dem Geschäft zuliebe. „Sie wacht über die Finanzen“, sagt Herbert Schmoll. Aber er ist nun mal Geist, Stimme und Gesicht der von ihm gegründeten Bürgerinitiative, seine Mitstreiter kennt man kaum. „Sachsenhausen wehrt sich“ heißt seine BI, der Name sollte Programm sein. Am Anfang wuchs die Bürgerinitiative noch rasant, an die 1500 Sachsenhäuser unterschrieben. Und dann das: Als Herbert Schmoll eine Demo auf dem Schaumainkai organisierte, verloren sich 60 Leute auf der breiten Uferstraße. „Ein Debakel“, sagt er, „eigentlich müssten wir Tausende sein.“
Dass Herbert Schmoll sich wehrt, begann im Jahr 2019. Bis dahin spielte für ihn Politik keine große Rolle, „Lokalpolitik war mir völlig egal“. Bis eben zu jenem Tag, als federführend die SPD den Mainkai für den Autoverkehr sperren ließ und damit eine der meistbefahrenen West-Ost-Tangenten abwürgte.
Staus und eine Art Kräftemessen
Fortan drängten sich noch mehr Autos als vorher schon in der Berliner Straße, auf der Alten Brücke. Vor allem in Sachsenhausen, auf dem Schaumainkai, in der Gartenstraße, in der Schweizer Straße, auf der Mörfelder Landstraße und der Elisabethenstraße bis hoch zum Wendelsplatz. Herbert Schmoll hatte es kommen sehen. „Wenn man eine Hauptverkehrsstraße schließt, muss der Verkehr ja irgendwo hin, das ist doch logisch.“
Nun war es ja nicht so, dass der damalige Verkehrsdezernent Klaus Oesterling das nicht hatte kommen sehen. Er sah dem nur gelassen entgegen auf diese ihm typische Weise, die man auch als Wurschtigkeit interpretieren könnte. „Die Autofahrer werden sich ihre Wege suchen“, kommentierte der Sozialdemokrat lapidar die Mahnungen der Sachsenhäuser und feierte die neue Leere auf dem Asphalt des Mainkais. Da platzte Herbert Schmoll endgültig der Kragen. „Was für eine Ignoranz!“
Tadel und Lob aus der Politik
Bald war er in Sachsenhausen mit seiner Fotokamera unterwegs und dokumentierte im Berufsverkehr die Blechlawinen, nahm, Pi mal Daumen, Maß: 70 Meter längere Staus hier, 60 Meter längere Staus da. Geschätzte CO₂-Mehrbelastung: reichlich! Man könnte ihm vorhalten, dass er den Vergleich zwischen Mainkai-Sperrung und Mainkai-Öffnung nicht eben akkurat abbildet auf seinen Internetseiten. Andererseits misst auch die Stadt am Thema vorbei. Die erste Zählung scheiterte an Corona. In ihrem Bericht B314 vom vergangenen Sommer ist von wenigen Minuten die Rede, die jeder Autofahrer lediglich mehr braucht, wenn der Mainkai gesperrt ist. Dass das nichts über die Auswirkung in der Summe aussagt, ist für Herbert Schmoll einmal mehr Ausdruck des Dilettantismus, den er der Frankfurter Verkehrspolitik diagnostiziert. „Und ich hasse Dilettantismus!“
Typisch Schmoll, sagen jene Stadtpolitiker, die für dieses Porträt um eine Meinung gebeten wurden. Er verwechsle Ansichten und Fakten, sagt Ursula Busch, Fraktionsvorsitzende der Römer-SPD, lasse andere Meinungen nicht gelten. Nicht lange her, da hat sie mal wieder eine Mail von ihm bekommen; worum es ging, weiß sie nicht mehr. Beleidigend sei sie gewesen, sagt Busch, „auf so ein Niveau antworte ich nicht“.
Das sei das Problem, sagt Frank Nagel, der verkehrspolitische Sprecher der CDU. In der Sache seien er und Schmoll ja ganz auf einer Linie, auch finde er manche Kritik wohltuend pointiert. Aber ein Diplomat, der erfahrene Christdemokrat will es vorsichtig formulieren, sei Schmoll nun nicht. „Damit tut er der Sache der Autofahrer keinen Dienst“, sagt Frank Nagel, „man muss heute in der Verkehrspolitik an alle denken.“
Schwärmereien des Liebhabers
Gut möglich, dass Herbert Schmolls Furor dafür sorgt, dass er verkannt wird. „Mir geht es doch um die Lebensqualität aller. Ich bin ja kein Autofetischist“, hat er gleich bei der Begrüßung gesagt, weil da ein Satz an ihm hängt wie ein Stigma. Er habe keine Lust, mit seinem Porsche ewig bis zur Konstablerwache zu brauchen, hat er einst öffentlich für sich reklamiert. Der Satz löste Kopfschütteln aus, weil er mit der Tram in zehn Minuten in der City sein könnte. „Ja ja“, wehrt er ab, „ich provoziere halt gerne.“ Hin und wieder fahre er sogar Bahn. „Aber ungern.“ Zu teuer seien die Preise, die U-Bahnstationen zu schmuddelig.
Dörflich ruhig ist es an diesem sonnigen Nachmittag auf dem Platz, an dem die Schmolls seit Jahrzehnten leben. Vor seinem aktuellen Porsche, Familienmodell, steht Herbert Schmoll gerade und erzählt von seinem alten „911er“ wie von einer verflossenen Liebe. Aus den Bäumen sind einzelne Vögel zu hören, so idyllisch ist es. „So ist es immer“, sagt Herbert Schmoll, „für uns müsste ich mich nicht so ins Zeug legen.“ Aus der Nähe von Baden-Baden stammt er, sein Manager-Job brachte ihn nach Frankfurt. Er liebt die Stadt, er ist Eintracht-Fan, die beiden Söhne sind sogar Mitglieder. Er liebt Sachsenhausen, die herausgeputzten Altbauten, die Lokale, die Geschäfte. Er will nirgendwo anders sein. „Es wäre doch schön, wenn es überall so ruhig wäre wie hier bei uns“, sagt er.
Wie das ginge, darüber referiert er auf seiner Internetseite „Verkehrswende für Frankfurt“ ausgiebig: mit Superblocks wie in Barcelona zum Beispiel, wo man alle Autos bis auf die der Anlieger um die Wohnviertel leitet und Kinder auf den Straßen spielen. Mit Tunnelsystemen wie in Oslo, die für eine autofreie Innenstadt sorgen. Mit ausreichend Park+Ride in den Peripherien, so wie vielerorts. „Frankfurt macht von alldem das Gegenteil und erstickt“, schimpft Schmoll.
Was ihm vorschwebt, wäre ein Gesamtverkehrskonzept, eines mit klarer Zielsetzung, klarer Strategie und entsprechenden Maßnahmen. Wie so was geht, wisse ein Manager wie er doch, sagt er. „Der neue Verkehrsdezernent aber versteht davon leider nichts.“ Gemeint ist Wolfgang Siefert von den Grünen; Herbert Schmoll verdreht schon die Augen, wenn nur der Name fällt. Vermutlich ist das auch umgekehrt so. Die schriftliche Anfrage, ob ihm etwas zu Herbert Schmoll einfalle, ließ Dezernent Siefert unbeantwortet.
Dabei wäre ein Disput zwischen den Antipoden durchaus interessant. Wolfgang Siefert gilt als fachkundig, als einer, der die Mobilitätsforschung genauestens verfolgt. Dass einige Forscher daran zweifeln, dass man ein städtisches Gesamtverkehrskonzept überhaupt planen könne, dass viel eher Versuch und Irrtum zielführend seien, will Herbert Schmoll als bedenkenswerte These sogar für einen Augenblick akzeptieren. Um im nächsten Augenblick die Frage zu stellen, wie viel Irrtum es denn bei der Mainkai-Sperrung sein dürfe.
Es sei auch diese Schlagfertigkeit, die er an Schmoll schätze, sagt Uwe Schulz, bis vor kurzem verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, nun bei den Bürgern für Frankfurt (BFF) aktiv und als Sachsenhäuser ein Leidensgenosse Schmolls. Schärfe und Hartnäckigkeit, Schulz lacht, „so was müssen wir Politiker aushalten.“
Denkt man es im Großen, hat Schulz da einen Punkt. Die Demokratie brauche mündige Bürger, solche, die sich sorgfältig informieren, die argumentieren, kritisieren, die sich einbringen. Sagen Politologen. Sagen auch Politiker. Prinzipiell finde sie Leute wie Herbert Schmoll ja auch toll, sagt die SPD-Fraktionsvorsitzende Ursula Busch – und fügt wohl nur halbironisch an: „Er könnte ein leuchtendes Vorbild sein.“
Ein schlagender Beweis am Ende
Dass Herbert Schmoll eine andere Strategie verfolgt, verdeutlicht eine Begebenheit aus jüngerer Zeit. Da traf er sich mit einer Bürgerinitiative im Nordend – wo der teilgesperrte Oeder Weg für Chaos in den Seitenstraßen sorge. Wo Fußgänger ihres Lebens nicht mehr sicher seien, weil die Radler rücksichtslos über ihre roten Pisten rasten. „Schlimm“, sagt Herbert Schmoll. Also beratschlagten er und die Nordendler, wie man die Kräfte bündeln könnte im Kampf gegen Frankfurts Verkehrspolitik. Er will da nicht aus dem Nähkästchen plaudern, aber irgendwann sei ihm klar geworden, dass das keine gute Idee wäre. Irgendwie zu brav seien ihm die Nordendler vorgekommen. „Man muss richtig nerven“, sagt Herbert Schmoll, „nur so kriegt man viel Aufmerksamkeit.“ Da hat er wohl recht. Auch dieses Porträt beweist es.