Es geht wieder aufwärts
Im Herbst 1949 erschien die F.A.Z. zum ersten Mal. Viereinhalb Jahre nach dem Krieg ist vieles in Frankfurt wieder aufgebaut, das Verkehrsnetz entspricht fast dem des Jahres 1938. Die Straßenbahn ist Trumpf.
D 1. November 1949 ist eine kleine Zäsur für die Stadt Frankfurt am Main. Es ist ein Dienstag, und fortan erscheint eine neue Zeitung: Die „Frankfurter Allgemeine – Zeitung für Deutschland“, wie es so schön im Titel heißt. Das Ende des Krieges, der natürlich eine wirkliche Zäsur für unsere geliebte Stadt war, ist erst viereinhalb Jahre vergangen. Frankfurt gehörte zu den am stärksten zerbombten Städten Deutschlands. Von der wunderschönen Altstadt war so gut wie nichts mehr übrig. Aber im Herbst 1949 hatte sich schon vieles wieder zum Guten gewendet.
Zwar war Frankfurt nicht die Bundeshauptstadt geworden, was vielleicht auch besser war, aber die Bundesrepublik war gegründet, und die frische D-Mark statt der alten Reichsmark, die eigentlich nichts mehr wert war, setzte frische Impulse. Plötzlich waren die Läden wieder voller Waren. Dennoch war das Leben für viele Menschen noch ein Provisorium, es fehlte Wohnraum, es galt, die vielen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten unterzubringen, die Redaktion dieser Zeitung war damals in einem Wohnhaus in der Innenstadt untergebracht. Man teilte sich den Raum mit den eigentlichen Mietern.
Und wer sich damals in der Stadt und im unmittelbaren Umfeld bequem bewegen wollte oder musste, für den gab es in der Regel nur ein Mittel zum Ziel: die Straßenbahn.
Von Offenbach abgesehen
Diese fuhr und fährt schon seit 1872, zunächst noch von Pferden gezogen, seit 1899 ist die Tram elektrisch unterwegs. Schon lange wird über die Stadtgrenzen hinausgedacht, nach Offenbach geht es seit 1884 und nach Oberursel bis zur Haltestelle Hohemark schon seit 1910. Außerdem kann 1949/50 mit der Linie 25 sogar bis Bad Homburg gefahren werden (bis 1971). Das sind aber die einzigen Ziele außerhalb der Stadtgrenzen, von Offenbach natürlich abgesehen. Im Nordosten fährt die Bahn bis nach Berkersheim und nach Bergen an die Stadtgrenze, im Osten bis nach Fechenheim, im Süden bis vor die Tore von Neu-Isenburg, im Westen damals aber nur bis Nied, südlich des Mains bis Schwanheim. Die alten Straßenbahn- und Busnetze finden sich im Internet unter www.tramfan-ffm.de.
Der Unterscheid zum städtischen Verkehrsnetz von heute ist so groß nicht, allerdings war es in der inneren Stadt wesentlich dichter geknüpft als heute. Spätestens seit dem Bau der U-Bahn, mit dem 1963 begonnen worden war, die erste Bahn fuhr dann 1968, wurde das Angebot Straßenbahn geringer. So mancher erinnert sich noch: Einst fuhren die Wagen auch in der Leipziger Straße oder dem Oeder Weg.
Wie wichtig die Tram Ende 1949 für die Stadt ist, zeigt auch die Tatsache, dass gleich in der ersten F.A.Z. ein Artikel zum Thema zu finden ist. „Frankfurter Straßenbahn sucht Wege, ihr Defizit zu beseitigen“, heißt es. Die Straßenbahnverwaltung diskutiere seit Monaten darüber, ob der Fahrpreistarif auf einen reinen Leistungstarif umgestellt werden soll, sodass für die gefahrene Strecke auch tatsächlich bezahlt wird. Es wird an einen Grundfahrpreis von 20 Pfennig gedacht. Damals waren Sammelkarten üblich, die den Preis noch erheblich reduzierten. Verkauft hat diese der Schaffner – diese werden erst 1968 abgeschafft.
Die Verwaltung klagt, dass der größte Prozentsatz der Fahrgäste unter den Selbstkosten der Bahn befördert werde. Soziale Maßnahmen wie der Achtstundentag, der 400 neue Mitarbeiter nötig machte, oder mehr Urlaub
hätten zu einem Defizit geführt, das für das Rechnungsjahr 1949 voraussichtlich 1,8 Millionen D-Mark betragen werde. Bemängelt wird auch, dass die Züge in den Hauptverkehrsstunden oft überfüllt seien, der Schaffner könne gar nicht alle Fahrgäste abfertigen, bevor sie den Wagen wieder verlassen. Der jährliche Verlust, der dadurch entstehe, wird auf 850.000 D-Mark geschätzt.
Busse ursprünglich nur als Zubringer für die Bahn
Das Netz selbst war Ende 1949 schon wieder fast so groß wie 1938. Aber aus 1100 Fahrzeugen vor dem Krieg waren nur noch 680 geworden. Im Mai 1945 waren noch 235 Wagen übrig gewesen, rund 20 Prozent des ursprünglichen Bestands. Alle 70 Omnibusse waren verloren. (Linien-)Busse sind übrigens nach Aussage von Frank Nagel, Chef des Verkehrsmuseums Frankfurt, stets nur Zubringer für die Bahn gewesen. Sie werden seit 1926 eingesetzt. Immerhin zwölf Buslinien gab es damals zum Start der F.A.Z., dazu 31 Straßenbahnlinien.
Die absolute Zahl der Busse belief sich auf 49 plus sieben Anhänger. Die Gleislänge war 1949 mit 266 Kilometer sogar einen Kilometer größer als elf Jahre zuvor. Es wurde auch viel mehr gefahren: Wurden 1938 im Monat rund 9,4 Millionen Passagiere befördert, waren es 1949 mit der Hälfte der Fahrzeuge mehr als 13 Millionen. Die dabei zurückgelegte Strecke wird mit 2,3 Millionen Kilometer beziffert. Kaum weniger als 1938 mit einem fast doppelt so großen Fuhrpark.
Eine halbe Million Einwohner
In Frankfurt leben zu diesem Zeitpunkt rund eine halbe Million Einwohner, davon 8544 Ausländer (F.A.Z. vom 5. Dezember 1949). Dass die Straßenbahn eine so große Bedeutung hat, kommt nicht von ungefähr, es gibt nur 22.367 Kraftfahrzeuge, also Autos, Motorräder und Lastwagen zusammengerechnet. Heute, 75 Jahre später, sind wir allein bei knapp 350.000 Autos in Frankfurt. Das ist das Fünfzehnfache! Doch noch ist zu Beginn des neuen Jahrzehnts nichts davon zu spüren. Bei einer Verkehrszählung im Januar 1950 in der Goethestraße, heute eine kleine „Luxusmeile“, kamen mittags innerhalb von zehn Minuten 36 Autos, 27 Lastwagen, fünf Motorräder, 14 Radfahrer und
9 Fußgänger vorbei. Wir wiederholen die Zählung knapp 75 Jahre später und erspähen neun Autos, keine Motorräder, 36 Radler, zwei E-Roller und 167 Fußgänger. Was für ein Unterschied. Für Lastwagen ist die Goethestraße heute tabu, zudem ist sie jetzt Einbahn- und Fahrradstraße.Ein Auto war 1950 absoluter Luxus, die Straßenbahn ein Verkehrsmittel für alle. Man konnte dort jeden treffen, und es war zu spüren, dass es nach dem ganzen Unbill des Krieges wieder aufwärtsging. Eine Anekdote aus dieser Zeit: Zu gut gehe es den Deutschen schon wieder, beschwerte sich der Korrespondent der englischen Tageszeitung „Daily Mail“, Alexander Clifford, nachdem er in Linie 23 (Hauptbahnhof-Heddernheim) feststellen musste, dass sogar wieder Zigarren geraucht werden. „Cigars again in Tram 23“ waren dem Blatt eine Schlagzeile wert. So mancher kluger, eher linker Kopf in Großbritannien hatte damals Angst vor der deutschen Leistungsfähigkeit. Der Wiederaufstieg Westdeutschlands sei eine Gefahr für den Lebensstandard des britischen Arbeiters.
Stark wachsender Autoverkehr
Tatsächlich war doch noch einiges im Argen, aber fast alle Brücken über den Main, die zerstört waren, sind im Herbst 1949 wieder befahrbar, die Straßen sind halbwegs gerichtet, der Schutt weggeräumt. Aber die 60.000 D-Mark, die das Stadtparlament im Januar 1950 für die Sanierung der Straßen genehmigt, seien doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, moniert ein Stadtverordneter. 20 Millionen D-Mark würden gebraucht. Im Laufe der Jahre sind die gewiss verbaut worden. In den 1950er-Jahren setzt dann der Siegeszug des Automobils ein. Dem wird zunächst alles untergeordnet. Das Ziel ist die autogerechte Stadt, die Straßen werden breiter, Straßenbahnhistoriker Nagel spricht von einem Umschwung, der 1953/54 einsetzt.
Einige wichtige Haltestellen werden wegen der größeren Nachfrage umgebaut, auch um die Straßenbahnen vom stark wachsenden Autoverkehr zu trennen. Schon 1926 hatte Stadtrat Peter Schlotter von Frankfurt als „Stad
der Straßen“ gesprochen. Allerdings war das auf den überregionalen Verkehr gemünzt. Bis das Frankfurter Kreuz eingeweiht wird, der „größte und modernste deutsche Verkehrsschnittpunkt“, dauert es aber noch bis Juli 1956. Weitere sechs Jahre vergehen, bis der letzte Bauabschnitt der Autobahn Hamburg-Frankfurt-Basel freigegeben wird.
Wer aber 1949/50 weitere Strecken zurücklegen will, fährt mit der Eisenbahn. Schon im August 1945 rollten die Züge wieder aus dem Sackbahnhof heraus, schon 1948 waren es dann 422 Zugbewegungen täglich, das war allerdings nur das Niveau von 1905. Wie Historiker Thomas Bauer in seinem 2023 veröffentlichten Aufsatz „Das Tor zur Welt. Der Verkehrsknotenpunkt Frankfurt am Main 1945–2000“ schreibt, war der Hauptbahnhof schon 1953 mit täglich 1000 Zugbewegungen der bedeutendste Bahnhof Westdeutschlands. Um dem allen Herr zu werden, wird 1957 das „modernste Stellwerk Europas“ eröffnet. Aber Mitte der 1960er fahren noch 18 Prozent der Züge mit Dampf.
Rasante Entwicklung des Flughafens
Wie Bauer aufzeigt, wendet sich die Frankfurter Verkehrspolitik in den 960er-Jahren weg von der autogerechten Stadt und versucht, den Pendlerströmen mit einem leistungsfähigen S-Bahn-Netz für die gesamte Region Herr zu werden. Das S-Bahn-Netz baute damals der Bund, für die U-Bahn war die Stadt verantwortlich. Damals war noch alles streng getrennt. 1978 wird der „Hauptbahnhof tief“ eröffnet. Jetzt fahren 1500 Züge täglich in den Bahnhof ein. Kein Bahnhof ist zu dieser Zeit frequentierter. Heute werden im wesentlich größeren Rhein-Main-Verkehrsverbund, in dessen Einzugsgebiet fünf Millionen Menschen leben, rund 800 Millionen Fahrgäste jährlich gezählt.
Zurück ins Jahr 1949. Geflogen ab Frankfurt wird in dieser Zeit auch schon. Die F.A.Z. notiert immerhin 31 Starts an einem (Werk-)Tag am neuen Flughafen im Süden. Die Amerikaner hatten im Sommer 1945 für militärische Zwecke eine Start- und Landebahn angelegt, eine erste amerikanische Verkehrsmaschine landete im Mai 1946. Die Deutschen bleiben vom Flugbetrieb zunächst ausgeschlossen. Eine erste große Bewährungsprobe hatte der Flughafen von Ende Juni 1948 bis Ende September 1949. Während der Blockade von West-Berlin starteten alle drei Minuten die berühmten „Rosinenbomber“ vom Typ Douglas C-54 Skymaster. Zur Entlastung wurde im April 1949 mit dem Bau einer Parallelbahn begonnen, der im Dezember 1949 abgeschlossen war. Rhein-Main zählte jetzt zu den größten Flughäfen in Europa.
Der neue Flughafen entwickelt sich rasant. Schon 1950 werden mehr als 13.000 Starts und Landungen gezählt. 1955 erhält die Bundesrepublik Deutschland die Lufthoheit zurück und es beginnt der „kometenhafte Aufstieg“ (Bauer) der zivilen Luftfahrt. Schon 1954 wurden bei rund 16.000 Starts und Landungen fast 580.000 Fluggäste sowie 11.125 Tonnen Fracht befördert. Im Jahr zuvor war die „Deutsche Lufthansa AG“ neu gegründet worden. Seither ist der Flughafen beständig ausgebaut worden, der Tagesrekord an Passagieren steht seit dem 30. Juni 2019 bei 241.288, also halb so viele an einem Tag wie 65 Jahre zuvor in einem ganzen Jahr. In zwölf Monaten sind es heute rund 50 Millionen Passagiere, Frankfurt ist in dieser Rechnung der fünftgrößte Flughafen Europas. 1954 hatte man schon auf Platz sechs gelegen.Schaut man auf die Verkehrssituation heute, bleibt nur festzustellen, dass es nicht nur mehr Autos gibt, auch mehr S- und U-Bahnen, viel mehr Flugzeuge und dazu Neues wie die Mietfährrader und die kleinen E-Roller zum Leihen, die für viele ein Ärgernis sind, weil sie überall herumliegen. Auf jeden Fall ist der Mensch wesentlich mobiler, als er es 1949 war. Und die Voraussetzungen dafür sind gut.