Wird das Neun-Euro-Ticket ein Erfolg, könnte der Nahverkehr bersten – Skeptiker bezweifeln Nachhaltigkeit

Schon jetzt drängen sich in den Hauptverkehrszeiten die Menschen in Bahnhöfen, Stationen sowie Bahnen und Bussen. Wie soll das erst mit dem Neun-Euro-Ticket werden? Wenn die meisten der 250 000 Auto-Pendler nach Frankfurt umsteigen, wird’s viel zu eng, fürchten Skeptiker. FOTO: dpa

Frankfurt – Mit Freude und Spannung schauen Fahrgäste in Frankfurt dem 9-Euro-Ticket entgegen. Wie sich das vom Bund geplante Billigticket für den Nahverkehr im Alltag auswirkt, darüber rätseln aber selbst noch die Verantwortlichen für Bahn und Bus in der Stadt.

Was in Frankfurt passieren wird, wenn jeder für neun Euro einen Monat lang im Nah- und Regionalverkehr fahren kann? “Wir wissen es nicht”, heißt es hinter vorgehaltener Hand aus Regionalzentrale der Deutschen Bahn. “Das ist ein großes Experiment.” Offiziell begrüßt die DB das von der Berliner Koalition erdachte Billigangebot. Dreimal, für Juni, Juli, August, soll es das geben. Die finalen Beschlüsse stehen im Bundestag noch aus, und die Bundesländer stören sich daran, dass der Bund Teile der Kosten von 4,2 Milliarden Euro auf sie abwälzen möchte.

“Ich freue mich, wenn der Nahverkehr günstiger wird”, sagt Kristine Schaal, Chefin des Fahrgastverbands Pro Bahn in Frankfurt. Sie äußerte sich bereits zu Monatsbeginn beim FNP-Leserforum “Mobilitätswende: Wer hat Vorfahrt in Frankfurt?” Schaal sieht das Angebot aber mit gemischten Gefühlen: “Das 9-Euro-Ticket wird es nicht richten”, fürchtet sie keinen nachhaltigen Umsteigeeffekt für Bus und Bahn.

Kein Platz für die Auto-Pendler

Sogar negative Folgen befürchtet Hendrik Gienow vom Verein “Vorfahrt Frankfurt”. Die Hälfte der Pendler fahre mit dem Auto nach Frankfurt, täglich rund 250 000 Menschen. “Wenn sich 150 000 davon entscheiden, mit Bahn und Bus zu fahren, dann haben wir ein Problem: Das gibt die Infrastruktur nicht her.”

Nicht nur gebe es für so viele Fahrgäste nicht genug Platz in den Zügen. Auch könnten nicht einfach so mehr Züge fahren, da das Schienennetz überlastet sei. “Wenn viele Leute mit dem 9-Euro-Ticket umsteigen”, sagt Gienow beim FNP-Leserforum, “habe ich die Sorge, dass sie frustriert wieder ins Auto zurückkehren, weil sie in die U-Bahn gar nicht mehr reingekommen sind.”

Wird es überhaupt so voll? “Da stochern wir noch im Nebel”, heißt es aus der Nahverkehrsverwaltung der Stadt. Und offiziell: “Wir können noch nicht sagen, wie das 9-Euro-Ticket umgesetzt wird”, sagt Klaus Linek, Sprecher der städtischen Nahverkehrsorganisation Traffiq. Es sei aber noch nicht absehbar, “ob Mehrleistungen nötig oder machbar sind”. Traffiq und der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) steuerte das “eng” und beobachteten die Lage.

Der Hinweis auf “machbar” beinhaltet dabei nicht nur die Frage, ob der Bund auch die durch den Ansturm notwendigen zusätzlichen Fahrten oder Wagen bezahlt. Beispielsweise hatte Traffiq in den vorigen beiden Corona-Sommern an Sonntagen die Fahrten der U3 zur Hohemark von zwei auf drei Wagen verstärkt, damit die Ausflügler in den Taunus genug Platz haben. Hinter den Kulissen wird über genau solche Verstärkungen vor allem im Freizeitverkehr nachgedacht.

Mehr Kapazität einfach nicht möglich

Das gilt auch für die S-Bahn, wo vor allem im Partyverkehr nach Frankfurt mit mehr Nachfrage gerechnet wird. Mit dem größten Ansturm rechnet die DB aber auf die Regionalzüge im Freizeitverkehr – und fürchtet, dass bei zu großem Ansturm Züge von der Bundespolizei geräumt werden müssen. Offiziell äußert sich die Bahn dazu aber nicht. “Wir sind im Austausch mit den Aufgabenträgern”, sagt eine Sprecherin, meint damit den RMV.

Das Problem: Mehr Züge und Busse, als in der Hauptverkehrszeit rollen, gibt es nicht. Alle ständig fahren zu lassen, geht auch nicht, da die Fahrzeuge zur Wartung und Reinigung müssen. Dass einige Regionalzüge überquellen könnten, fürchtet auch Frank Nagel, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Römerfraktion und bundesweit vernetzt engagierter Nahverkehrfachmann. “Aber ich glaube nicht, dass ein großer Nachfrageschub in Frankfurt einsetzt.” Es gebe auch genug Platz: Die Auslastung in S-, U- und Straßenbahn sei noch immer viel geringer als vor Corona.

Natürlich freuten sich viele Städter, wenn sie statt 94,50 Euro pro Monat nur neun zahlen müssten. “Da wird es sicher einen Mitnahmeeffekt geben”, schätzt Nagel. Vor allem würden Fußgänger und Radfahrer wohl zum Beispiel “schnell eine Station mitfahren”, statt zu laufen oder zu radeln.

Doch sei die “Pandemie auch diesen Sommer noch der Bremser”: Nicht jedem Autofahrer komme es in den Sinn, in einen vollen Zug zu steigen. “Wer die Wahl hat, wird sich das zweimal überlegen”, zumal das Autofahren über den Tankrabatt ja zeitgleich auch billiger werden soll, erinnert der Experte. Frank Nagel findet daher das 9-Euro-Ticket “völlig daneben” im Sinn des Ziels, in Frankfurt fürs Umsteigen auf Bahn und Bus zu werben. “Es bedeutet viel Verwaltungsaufwand und hat wenig Nutzen.” Dennis pfeiffer-Goldmann

Diskussion zum Anschauen

Die FNP-Diskussion über die Verkehrswende in Frankfurt ist unter t1p.de/fnpdiskussion zum Anschauen auf dem Smart-TV, Computer, Smartphone oder Tablet verfügbar – und direkt im Youtube-Kanal der FNP zu finden.

Die neun wichtigsten Antworten zum 9-Euro-Ticket

■ Für 9 Euro pro Monat fahren, drei Monate lang von Juni bis August: Das sieht das 9-Euro-Ticket der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP im Bund vor. Fix ist es noch nicht: Der Bundestag muss es noch beschließen, die Bundesländer müssen zustimmen.

■ Der Vorverkauf für das Ticket soll voraussichtlich am 20. Mai beginnen, erklärt die Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF). Es soll in der App, am Schalter und am Automaten verkauft werden.

■ Gelten soll das Ticket im jeweiligen Kalendermonat im Nahverkehr und allen Regionalzügen deutschlandweit in der zweiten Klasse. Es gilt aber nicht im Fernverkehr (ICE, IC, Flixtrain) oder Fernbussen.

■ Das Ticket ist personalisiert, jeder ab sechs Jahren muss ein Ticket haben, es gibt keinen Kinderrabatt.

■ Die Fahrradmitnahme ist nicht inkludiert. Im Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) ist sie zwar kostenlos. Grundsätzlich aber werden immer dann keine Fahrräder mitgenommen, wenn Züge voll sind. Radfahrer müssen, falls nötig, auch aussteigen. Kinderwagen und Rollstühle haben stets Vorrang.

■ Wer eine Zeitkarte hat – also Jahreskarte, Monatskarten-Abo, Schüler- oder Seniorenticket – soll den Differenzbetrag zum 9-Euro-Ticket erstattet bekom-men, kündigen RMV und VGF an. Entweder würden nur 9 Euro abgebucht oder soll laut VGF voraussichtlich eine Gutschrift über den Differenzbetrag geben.

■ Die Verrechnung solle automatisch und ohne Aufforderung geschehen. Wie das Erstatten direkt gekaufter Jahreskarten laufen soll, klärt sich laut VGF noch.

■ Wer eine Zeitkarte hat, für den gelten die Mitnahmeregelungen weiter – aber nur im gewohnten Umfang, nicht deutschlandweit.

■ Die VGF hat den aktuellen Informationsstand unter www.vgf-ffm.de/de/aktuellpresse/9-euro-ticket in der Übersicht zusammengestellt. dpg