Planungsdezernent warb im Wahlkampf für die Tram an der Hauptwache, nun ist er dagegen
Frankfurt – Die Idee hatte viel Begeisterung ausgelöst: Die Straßenbahn soll wieder über die Hauptwache fahren. Das könne Fahrgästen und Handel nutzen, pries Planungsdezernent Mike Josef (SPD) im Februar. Nun aber beerdigt er die Idee wieder, und das ganz beiläufig. Damit provoziert der Politiker Kritik.
Im Kommunalwahlkampf war es ein kleiner Coup: Josef und der seinerzeitige Verkehrsdezernent Klaus Oesterling, auch von der SPD, legten den Plan vor, dass die Bim wieder den zentralen Platz der Stadt kreuzen soll. 1986 war die Elektrische hier zum letzten Mal entlanggerollt.
“Mit der neuen Straßenbahnverbindung wird die Grundlage dafür geschaffen, die Nutzung der Innenstadt zu dezentralisieren”, warb Josef. Das sei nötig, “um die Attraktivität der Innenstadt zu sichern” – auch weil “nur wenige Kaufhäuser” nicht ausreichten, deshalb mehr kleinteiligere Einkaufsmöglichkeiten und ein “differenziertes gastronomisches Angebot” gebraucht würden. Ihre Idee hatten Josef und Oesterling zuvor in den Entwurf des Nahverkehrsplans bugsiert. Schon im Oktober 2020 hatte diese Zeitung diese Pläne erstmals bekannt gemacht.
Jetzt, ein Jahr später, wendet sich der Planungsdezernent gegen seine eigene Idee. Die Straßenbahn-Strecke wolle er nicht weiter verfolgen, sagte Mike Josef, als er zu Beginn des Monats seine neuen Pläne vorlegte. Die sehen vor, das “Loch” an der Hauptwache zu einer Arena umzugestalten. Damit will Josef einen noch teureren und langwierigen Umbau verhindern. Inzwischen hat sich der gesamte Magistrat der neuen Regierung aus Grünen, SPD, FDP und Volt hinter das Projekt gestellt – also ohne Straßenbahn. Sie sei an dieser Stelle nicht unbedingt nötig, erklärt Mike Josef inzwischen.
Mit Verkehrsdezernat nicht abgesprochen
Nicht mehr bei der Entscheidung dabei war sein Parteifreund Oesterling, der Anfang September als Verkehrsdezernent ausschied. Mit wem hat Josef dann im Verkehrsdezernat abgesprochen, dass er die Tram-Pläne wieder beerdigt? “Mit uns nicht”, sagt Wolfgang Siefert, persönlicher Referent des neuen Mobilitätsdezernenten Stefan Majer (Grüne). Weiter kommentieren mag er das nicht. Er gibt nur einen wichtigen Hinweis.
So ist die Straßenbahn-Strecke via Hauptwache aktuell eine Vorgabe der Stadtverordneten. Sie wurde im März als Bestandteil des Nahverkehrsplans beschlossen, als eines der Vorhaben zur Umsetzung nach 2025. Neben CDU und Grünen war auch die SPD dafür. Ob der Nahverkehrsplan weiter gilt? Majer-Referent Siefert sagt: “Ja, selbstverständlich.”
Nicht ganz glücklich mit einem Streichen der Straßenbahnpläne ist man bei den Einzelhändlern. “Es kommt auf ein funktionierendes Gesamtkonzept für die Innenstadt an”, sagt Joachim Stoll, Vizepräsident im Handelsverband Hessen-Süd, “und dazu gehört dann auch die Straßenbahn.” Die Händler haben Josefs überschwänglich werbende Worte im Ohr: Eine bessere Erschließung versprach er, was gerade kleinen Geschäften von der Schäfer-, Elefanten- und Alte Gasse über die Stiftstraße und die Große Eschenheimer bis hin zur Kaiserstraße zugutekomme. Die Schienen könnte vom Friedberger Tor via Stephanstraße und Hauptwache zum Willy-Brandt-Platz führen.
Auch die Opposition wundert sich über Josefs Hin und Her. “Die Straßenbahn auf der Hauptwache ist eine sehr gute Idee”, sagt Frank Nagel, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Sie nutze nicht nur dem Handel, wenn mehr Menschen per Tram direkt vor die Geschäfte fahren könnten. Wenn mehr Menschen per Nahverkehr statt Privatauto in die Stadt führen, schütze die Tram-Strecke auch Umwelt und Klima. Dieses Ziel werde auch erreicht, da die Hauptwachen-Strecke den gesamten Straßenbahnbetrieb zuverlässiger mache, sagt Nagel. Mit der Strecke entstehe eine gute Ausweichroute für die Altstadtstrecke, die etwa bei Demonstrationen oft blockiert sei.
“Es ist nicht nachvollziehbar, warum Dezernent Josef ohne Not ein sinnvolles und klimafreundliches Vorhaben erst forciert und jetzt plötzlich ablehnt”, schimpft Frank Nagel. Eine Tram-Strecke stehe auch einer Neugestaltung an der Hauptwache nicht entgegen. “Bei der Neuplanung des Platzes muss ein späterer Bau einer Straßenbahnstrecke unbedingt berücksichtigt werden.” Keinesfalls dürfe der Magistrat Tatsachen schaffen und damit eine Renaissance der Tram an der Hauptwache über Jahrzehnte blockieren. Dennis Pfeiffer-Goldmann
KOMMENTAR
Und es war doch nur Bauernfängerei
VON DENNIS PFEIFFER-GOLDMANN
Die Straßenbahn doch nicht über die Hauptwache zu führen, dürfte nicht wenigen Frankfurtern einen Seufzer der Enttäuschung entlocken. Die Elektrische wieder mitten im Städtchen zu haben, wäre mehr als ein sauberes, zukunftsgewandtes Verkehrsprojekt. Es wäre was fürs Herz.
Wirklich notwendig ist die Tram an der Hauptwache aus verkehrlicher Sicht nicht. Da hat Mike Josef Recht. Es gibt so viele Ecken der Stadt, die überhaupt erst einmal eine bessere Nahverkehrsanbindung benötigen, damit es mit Verkehrswende und Klimaschutz klappt – Zeilsheim und Sossenheim zum Beispiel, Sachsenhausen-Süd, Praunheim, Seckbach, Bergen, Nieder-Erlenbach. Hier Straßenbahnen hinfahren zu lassen, wäre ein gutes Argument, die Hauptwachen-Tram auf Eis zu legen. Sie einfach beiläufig wegzuwischen, weil sie nach der Wahl zu unwichtig wirkt, ist es nicht. Im Gegenteil: So entpuppt sich Josefs Vorstoß als Bauernfängerei. Und mit dem beiläufigen Wegwischen nun demonstriert der OB in spe ein recht eigenwilliges Demokratieverständnis. Schließlich ist die Retro-Idee eindeutige Beschlusslage der Stadtverordneten.
Solche Taschenspielertricks sind nicht ungewöhnlich in der Politik, manchmal vielleicht gar notwendig. Mit ihnen lassen sich aber nicht die Herzen der Frankfurter erobern. Dafür müsste wirklich die Elektrische wieder ins Herz der Stadt rollen.