Montag, 16. März 2020, Frankfurter Neue Presse / Lokales

Mainkai-Test “an mangelnder Vorbereitung gescheitert”

MONTAGSINTERVIEW CDU-Verkehrsexperte Frank Nagel über Nahverkehr, Verkehrsberuhigung in der Innenstadt und Bürgerprotest

Frank Nagel (54), hier am Mainkai, ist der Mann im Hintergrund der städtischen Verkehrspolitik. Er ist kein Stadtverordneter, prägt aber in der CDU als Vorsitzender des Fachausschusses Verkehr die Politik mit – und damit auch die der Römerkoalition aus CDU, SPD und Grünen. Unter anderem stammt von ihm der Vorschlag, den U 4-Lückenschluss unter dem Uni-Campus Westend entlang zu führen. Nagel ist ein Frankfurter Bub, er führt den CDU-Stadtbezirksverband Schwanheim/Goldstein. Innerhalb der CDU ist er auch auf Landesebene mit dem Thema Verkehr betraut. Nagel hat an der Goethe-Universität BWL studiert und ist seit 25 Jahren als Berater im ÖPNV-Bereich aktiv. Seine Firma hat inzwischen 15 Mitarbeiter. Seit Mai 2019 ist Nagel Vizepräsident der IHK Frankfurt. Seit 2015 leitet er den Betreiberverein des Verkehrsmuseums der Verkehrsgesellschaft (VGF). Der passionierte E-Bike-Fahrer kennt auch den Nahverkehrsalltag aus dem Effeff: Er lenkt hin und wieder selbst U- und Straßenbahnen durch die Stadt. dpg/Foto: Michael Faust

Die Mainkai-Sperrung entwickelt sich zum Fiasko, der Ausbau im Nahverkehr kommt nicht voran. Frank Nagel ist als Verkehrsexperte der CDU nah an der Stadtpolitik. Er betrachtet das Geschehen zugleich mit Distanz als Chef seines eigenen ÖPNV-Beratungsunternehmens und als Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer. Im Gespräch mit Redakteur Dennis Pfeiffer-Goldmann spricht er über Verkehrsberuhigung, Nahverkehr und darüber, wie Bürger erfolgreich für ihre Sache kämpfen – und warum das in Sachsenhausen gerade misslingt.

Der gesperrte Mainkai wird von Fußgängern nicht angenommen. Warum dürfen nicht wieder Autos dort fahren, Herr Nagel?

Der Koalitionsbeschluss legt fest, dass die Sperrung bis zum Ende des Museumsuferfestes Ende August fortgesetzt wird.

Wie glücklich sind Sie damit?

Wir sehen doch subjektiv sehr gut, dass dieser Verkehrsversuch gescheitert ist. Warum akzeptieren wir das nicht alle und öffnen die Straße wieder?

Ja, warum nicht?

Weil in einem solchen Koalitionsbeschluss alle Parteien zustimmen müssten und mindestens eine Partei hat gesagt, sie möchte den Versuch aufrecht erhalten.

… und zwar die SPD. Weshalb sehen Sie den Versuch als gescheitert an?

Er ist ganz klar an der mangelnden Vorbereitung und am mangelnden Konzept gescheitert. Es fehlte das Aufbereiten der Umleitungsstrecken, die Information für Bürger, die Anpassung der Knotenpunkte, zum Beispiel bei den Ampeln, es fehlte eine Attraktivitätssteigerung des Mainufers. Und es fehlte vorher die Analyse: Wie sind überhaupt die Verkehrsströme, nicht nur vor Ort, sondern auch insgesamt im innerstädtischen Bereich? Wenn man das nicht vorbereitet, dann erhöht man die Chance, dass so etwas nicht von selbst läuft.

Wer hat das versäumt?

Der Stadtverordnetenbeschluss war schon sehr kurzfristig. Man hätte sich aber in dieser Zeit über die Verkehrsströme und die Information der Bürger Gedanken machen müssen. Und das Verkehrsdezernat hat die Zuständigkeit.

Warum ist das nicht richtig vorbereitet worden?

Für so etwas braucht man einfach Zeit. Stattdessen ist die SPD mit dem Thema autofreie Innenstadt in den Wahlkampf gestartet. Sie will hier offenbar ein Ziel erreichen und hat gehofft, dass sich das alles von selbst löst, wenn man nur die Autofahrer einfach ein bisschen warten lässt.

Unter welchen Umständen könnte man jetzt noch die Sperrung verlängern?

Mit der CDU wäre eine Verlängerung nur möglich gewesen, wenn alle Komponenten funktioniert hätten. Also das Beleben des Mainkais und dass der Verkehr in Sachsenhausen weiter fließt.

Ließe sich das noch schaffen?

Dieser Zug ist abgefahren. Für verkehrslenkende Maßnahmen brauche ich einfach Zeit, bis sich alle Verkehrsteilnehmer daran gewöhnen. Wir sehen ja, dass es nicht funktioniert, dass die Autofahrer frustriert sind und weiterhin fahren und nicht großräumig die Innenstadt meiden.

Wie ist die Stimmung in der CDU, dass sie den Versuch weiter mittragen muss?

Die Begeisterung hält sich stark in Grenzen. Unser verkehrspolitischer Sprecher Martin Daum hat im Dezember eine sofortige Öffnung vorgeschlagen und auch, dass Tempo 30 gelten und die dritte Fahrspur zugunsten von Radfahrstreifen entfallen soll.

Den Vorschlag unterstützen inzwischen auch die Grünen.

Sogar wortgleich. Daum hatte auch vorgeschlagen, den Übergangsbereich vom Historischen Museum bis zur Leonhardskirche Fußgängergerecht umzugestalten und gestalterisch aufzuwerten, damit die Trennwirkung der Straße auch optisch entfällt.

In Sachsenhausen ärgern sich viele darüber, dass am Versuch festgehalten wird, obwohl viele in der Politik einsehen, dass die Sperrung nicht der richtige Weg ist. Wieso dringen diese Bürgermeinungen nicht durch in die Stadtpolitik?

Es ist in der Stadtpolitik schwierig, Fehler einzugestehen.

Die Koalition schafft es aber, sich auch bei kritischen Themen zu einigen, siehe Rad-Entscheid. Wieso reagiert die Stadtpolitik so unterschiedlich auf die Bevölkerung?

Die CDU versucht, die Bedürfnisse der Bürger aufzunehmen. Beim Rad-Entscheid war angesichts von 40 000 Unterschriften sehr deutlich, dass es viele Bürger gibt, denen es wichtig ist, dass die Sicherheit der Fahrradfahrer deutlich erhöht wird. Das Abwägen zwischen mehr Sicherheit für Radfahrer und weniger Platz für Autos ist ein Kompromiss. Es ist der CDU wichtig, nicht ideologisch, sondern problembewusst an die Sache heranzugehen.

Wieso waren die Aktiven des Rad-Entscheids erfolgreich, die Gegner der Mainkai-Sperrung sind es aber nicht?

Wenn sich Bürger melden, muss man schauen, ob es eine kleine, laute Anzahl ist, oder ob es eine große Zahl von Betroffenen ist. Das müssen wir berücksichtigen.

Nur das? Oder welchen Einfluss hat die Art der Kommunikation der Bürger?

Wichtig ist, dass man keine Verweigerungshaltung einnimmt, sondern auch Alternativen präsentiert und Vorschläge macht, über die wir als Politiker mit den Bürgern reden können. Der Rad-Entscheid hatte mit 40 000 Stimmen eine klare Meinung, was er erreichen will. Aber es gab dann einen Abwägeprozess. Zum Kompromiss müssen beide bereit sein, Bürger und Politiker. Das klappt nicht, wenn man ständig nur Maximalforderungen erhebt oder sich persönlich beschimpft. Es gibt in der Verkehrspolitik keine Entscheidung, die 100 Prozent der Bürger begeistert. Jede Entscheidung hat Vor- und Nachteile. Es muss so abgewogen werden, dass am Ende die Vorteile überwiegen.

Verkehrdezernent Oesterling führt an, dass der Autoverkehr in der Innenstadt binnen 30 Jahren um 30 Prozent zurückging. Ist es da nicht richtig, von Autos benutzte Flächen den Radfahrern und Fußgängern zuzuschlagen?

Wir haben dem schon ganz klar zugestimmt für den Radverkehr. Als CDU haben wir aber auch die Fußgänger im Blick. Deren Sicherheit muss dringend besser werden und es muss die Aufenthaltsqualität in vielen Bereichen attraktiver werden. Dafür ist aber keine komplett autofreie Innenstadt notwendig. Auch der Wirtschaftsverkehr mit Lieferanten, Handwerkern und Pflegediensten muss weiter funktionieren. Und die Parkhäuser müssen erreichbar bleiben.

Müssen Autos noch durch alle Gassen fahren? Welche Wert hat eine Schäfergasse mit ihrem Park-Chaos noch für die Autos? Oder eine Bleidenstraße, wo der massive Fußgängerstrom der Neuen Kräme kaum ein Durchkommen erlaubt?

Es ist wichtig, dass die Attraktivität der Innenstadt steigt. Das kann bedeuten, dass man auf bestimmte Bereiche für den Straßenverkehr verzichten kann. Gerade in Sackgassen wie in der Schäfergasse kann so etwas helfen, den Parkplatzsuchverkehr zu mindern. Es gibt aber auch berechtigte Interessen des Einzelhandels. Der benötigt die Erreichbarkeit. Deshalb muss man das im Einzelfall und in enger Abstimmung mit Anwohnern und Einzelhandel entscheiden.

Wenn der Mainkai wieder geöffnet wird, könnte dann die Berliner Straße attraktiver gestaltet werden?

Die Berliner Straße erzeugt eine Trennwirkung zwischen Innenstadt und Altstadt, das ist Fakt. Ein Versuch, diese Straße zu beruhigen, ist sinnvoll. Nach den Erfahrungen vom Mainufer müssen wir aber die verkehrlichen Auswirkungen vorher in Ruhe betrachten. Ich sehe es daher nicht als vernünftig an, jetzt direkt einen neuen Verkehrsversuch auf der Berliner Straße zu machen.

Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit der aktuellen Verkehrspolitik der Stadt?

Es geht grundsätzlich zu langsam. Es müssen schneller Entscheidungen getroffen werden. Wir haben eine hohe Pendlerdichte im ganzen Rhein-Main-Gebiet. Die Pendler müssen aber nicht durch die Frankfurter Innenstadt fahren, durch die Berliner Straße oder übers Mainufer. Es fehlen Angebote, zum Beispiel mehr Park-and-Ride zum Umsteigen zwischen Auto und U- oder S-Bahn.

Warum dauert es zu lange?

Verkehrspolitik betrifft ganz viele Beteiligte. Diejenigen, die vor Ort von den Baumaßnahmen betroffen sind, haben meistens den geringsten Nutzen. Deshalb ist der Widerstand vor Ort hoch und die Politik hat nicht immer das Rückgrat zu sagen: Im Gesamtinteresse muss ich anders entscheiden.

Wo ist mehr Rückgrat nötig?

Beim U4-Lückenschluss zwischen Ginnheim und Bockenheimer Warte sind die Fakten seit langer Zeit bekannt. Wenn die Bürger aber nur halb fertig geplante Sachen vorgelegt bekommen, führt das zu Unmut. Wenn ich besser vorbereite, den Informationsprozess frühzeitiger starte und transparent alle Beteiligten mitnehme, habe ich bessere Chancen.

Die lange Dauer beim U 4-Lückenschluss haben CDU und Grüne mitverursacht, die einst die Frauenfriedenskirchenvariante kippten.

Völlig richtig. Jede Zeit hat ihre Entscheidungen. Aber wenn die Strecke schon befahren wäre, müssten wir uns heute trotzdem Gedanken machen über den neuen Bundesbank-Campus und den neuen Campus der Universität. Jetzt können wir froh sein, dass wir diese beiden Hotspots direkt mit anbinden können.

CDU und Grüne haben auch die U 5-Verlängerung zum Frankfurter Berg gestoppt. Wie reden Sie das schön?

Das muss ich nicht schönreden. Bis vor drei, vier, fünf Jahren haben wir Mobilität nur als Kostenfaktor gesehen. Öffentlicher Nahverkehr durfte kein Geld kosten. Es hat sich heute die Bereitschaft geändert, die Bau- und Folgekosten dafür zu tragen.

Wie froh sind Sie als Verkehrspolitiker, dass sich Ihre Partei so gewandelt hat?

Wir haben als Volkspartei alle unter unseren Wählern: Radfahrer, Fußgänger, Bus- und Bahnnutzer und Autofahrer. Die CDU muss die Belange aller Bürger berücksichtigen. Deshalb dürfen wir nicht zugunsten einiger einen starken Eingriff bei anderen machen. Es ist oft schwierig, diesen Ausgleich zu schaffen. Aber genau das erwarten die Bürger von der CDU als Großstadtpartei.

Welche Ausbauprojekte im Nahverkehr müssen als nächste kommen?

Wir müssen überlegen, wo die Belastung sehr hoch ist und wir noch U-Bahn-Strecken benötigen: zur Sachsenhäuser Warte und nach Neu-Isenburg, nach Seckbach, Bergen, Bad Vilbel und besonders wichtig die Mainzer Landstraße. Das muss schnellstens angegangen werden, weil U-Bahn-Projekte eine ganz andere Realisierungszeit haben als zum Beispiel die Ringstraßenbahn.

Auf die wir auch schon sehr lange warten.

Viel zu lange! Es hängt da nur noch an einem kleinen Teilstück in der Wilhelm-Epstein-Straße zur Verknüpfung mit der U4. Sonst könnte man schon planungsrechtlich anfangen und auch Abschnitte bauen. Ich bin froh um jeden Bagger, der rollt.