Straßenbahn-Kapazität in der Mainzer soll sinken

NAHVERKEHR – Stadt plant trotz steigender Nachfrage mit weniger Fahrten auf fahrgaststärkster Linie

Frankfurt – Die Prognosen sehen steigende Fahrgastzahlen vor, trotzdem soll die Kapazität der Straßenbahnen ausgerechnet auf den stark frequentierten Linien auf der Mainzer Landstraße reduziert werden. Das ist die Folge des neuen Straßenbahnkonzepts, das Verkehrsdezernent Klaus Oesterling (SPD) kürzlich vorlegte.

Mehr Platz für mehr Fahrgäste in der wachsenden Stadt: Das ist das Ziel des neuen Straßenbahnkonzepts für die Zeit bis 2025. Es ist bisher nur ein Vorschlag, die Stadtverordneten müssen es noch beschließen. Ohne Bau neuer Gleisstrecken soll die Elektrische zehn Prozent mehr Menschen befördern: 5,3 Millionen mehr Fahrgäste jedes Jahr. Dafür sollen Linien umverlegt und drei neue Verstärkerlinien eingeführt werden.

Besonders die fahrgaststärkste Linie nach Höchst soll profitieren. Statt heute alle 7,5 Minuten soll künftig alle fünf Minuten eine Bahn hierher fahren. Je sechsmal soll die 11 nach Fechenheim rollen, zusätzlich sechsmal die Linie 16 nach Oberrad. Für Nied und Griesheim sind 18 statt heute 16 Fahrten pro Stunde geplant. Dafür wird die Linie 14 von der Mönchhofstraße bis Nied verlängert. Auch sollen auf den Linien 11 und 16 neue XL-Trams eingesetzt werden, die dann 40 statt bisher 30 Meter lang sind.

Nur noch 18 statt 22 Trams pro Stunde

Die 18 Fahrten pro Stunde sind auch fürs Gallus vorgesehen – also weniger als die bisher 22 Züge pro Stunde. Zwischen Mönchhofstraße und Galluswarte sind die Trams am vollsten, bevor viele Fahrgäste in S-Bahnen umsteigen.

Aktuell bieten die Straßenbahnen im Gallus 1540 Sitzplätze je Stunde und Richtung an. Mit weniger Fahrten sinkt die Zahl der Sitzplätze je Stunde um auf geschätzt 1356 – wenn 11 und 16 auf Langzüge umgestellt werden.

“Völliger Quatsch” sei das, sagt Sara Steinhardt. Die Lehrerin wohnt im Gallus, ist täglich mit der Tram unterwegs und engagiert sich für die CDU im Ortsbeirat. “Wer so etwas entscheidet, ist noch nie morgens mit der 11 gefahren”, kritisiert sie. Denn dann seien Bahnen teils so voll, dass Fahrgäste im Gallus nicht mehr einsteigen könnten und auf die nächste Bahn warten müssten.

Klaus Oesterling sieht dennoch kein Problem: “Die U 5 nimmt der Straßenbahn erhebliches Fahrgastaufkommen weg”, sobald diese ab 2025 ins nahe Europaviertel fahre. Menschen aus dem nördlichen Gallus würden dann zur U-Bahn laufen statt zur Tram. Die “erhebliche Sogwirkung”, räumt er ein, gebe es zwischen Güterplatz und Galluswarte. Dort sind die Trams jedoch viel leerer als westlich der Galluswarte. “Der Effekt geht aber bis zur Mönchhofstraße”, betont der Dezernent.

U 5 als Alternative? Steinhardt: Reicht nicht

Sara Steinhardt widerspricht: Westlich der Rebstöcker Straße blockiere der Bahndamm kurze Fußwege zur U-Bahn. Ein Umsteige-Effekt sei nur nördlich der Idsteiner Straße, teils bis Frankenallee zu erwarten. Diese Entlastung werde allerdings durch Fahrgäste aus vielen neuen Wohnhäusern, die etwa im Kleyerviertel und auf dem Ex-Avaya-Gelände südlich der Mainzer Landstraße entstehen, mehr als aufgezehrt. “Der Druck wird dort deutlich steigen.” Für die Stadtteilpolitikerin ist klar: “Wir brauchen nicht weniger Kapazität auf der Mainzer Landstraße, sondern mehr.”

Die Kapazität hier zu erhöhen sei nicht aufwändig, ist Frank Nagel überzeugt, Verkehrsexperte der Frankfurter CDU. Er schlägt eine Entlastungslinie vor, die nur während der Hauptverkehrszeiten den am stärksten belasteten Abschnitt zwischen Mönchhofstraße und Galluswarte bediene.

“Die Bahnen könnten zum Beispiel zwischen Mönchhofstraße und Messe verkehren”, womit auch der Hauptbahnhof entlastet werde, schlägt Nagel vor. Fahrzeuge seien ab Dezember 2021 dafür verfügbar: die sieben älteren, nicht-barrierefreien Wagen, die nächstes Jahr durch neue Trams der Baureihe T ersetzt werden sollen. Dennis Pfeiffer-Goldmann

KOMMENTAR

Die falsche Weichenstellung lässt sich noch verhindern

VON DENNIS PFEIFFER-GOLDMANN

Das Straßenbahnkonzept ist ein kluger Zwischenschritt beim Ausbau des Nahverkehrs. Mehr aus der vorhandenen Infrastruktur zu quetschen ist nicht nur wirtschaftlich sinnvoll. Schnelle Lösungen sind auch gut für die Fahrgäste. Für die Mainzer Landstraße offenbart das Konzept aber noch eine erhebliche Unwucht. Ausgerechnet auf der am stärksten frequentierten Linie die Kapazität reduzieren zu wollen, das klingt völlig unlogisch. Zumal die Hoffnung auf die Entlastung durch die U 5 zu kurz greift – und das gleich doppelt. Stark spürbar dürfte der Effekt nur östlich der Galluswarte sein. Zu eng in den Trams ist es aber westlich davon. Und das nicht erst in fünf Jahren: Schon heute sind 11 und 21 oft übervoll – selbst zu Corona-Zeiten. Wer hier mitfährt, ist auf die Elektrische wirklich angewiesen. Es sind Arbeiter mit Knochenjobs, Putzleute, Verkäuferinnen, Müllwerker, die essenziell unser Gemeinwesen am Laufen halten. Und nicht nur ins Kleyerviertel ziehen viele Menschen in den nächsten Jahren, sondern auch nach Griesheim und Nied. So werden die Trams bis 2025 und danach noch voller sein als heute schon. Diese falsche Weichenstellung kann die Politik noch verhindern. Das ist wichtig. Denn im Westen gehört die Tram ganz besonders zur Daseinsvorsorge.