Römer-Politik und Fahrgast-Lobby fordern Unterstützung für Ausbau – und viel günstigere RMV-Tickets
Das 9-Euro-Ticket hat viele Fahrgäste günstig durch die Region gebracht und die Debatten um die richtige Strategie für einen deutlich attraktiveren Nahverkehr richtig angefacht. Die Streitfrage dabei: Sind der nötige Ausbau und Billig-Tarife vereinbar?
Frankfurt – Mehr Geld von Bund und Land für den Ausbau des Nahverkehrs fordern Regierungsparteien, Opposition und Fahrgastverband Pro Bahn in Frankfurt. Das ist die zentrale Folgerung aus den drei Monaten der Gültigkeit des 9-Euro-Tickets, das Mitte kommende Woche ausläuft.
Vom 1. September an gelten in der Stadt wieder die Tarife des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV). Dabei hat der Verbund gerade zum 1. Juli die Preise um durchschnittlich 3,9 Prozent erhöht – eine Zusatzerhöhung wegen der hohen Kosten etwa für Treibstoff, die der Aufsichtsrat unter Leitung von Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) billigte, obwohl die Preise bereits zum 1. Januar gestiegen waren.
Dass das Angebot nicht weitergeführt oder es ein Anschlussangebot gebe, findet Katharina Knacker, die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Römer, “sehr schade”. Die Grünen führen eine Koalition mit SPD, FDP und Volt an. Im Koalitionsvertrag sei die Einführung eines 365-Euro-Tickets vereinbart, erinnert sie. Daran arbeite die Koalition, doch fehle der Stadt das Geld dafür – wie überall im Land.
Preis-Senkung “schaffen die Kommunen nicht”
Die Ticketpreise zu senken, “schaffen die Kommunen nicht”, sagt Knacker. Das Geld müsse von Bund und Land kommen. Dafür müsse zum Beispiel Geld umgeschichtet werden, etwa indem das Dienstwagenprivileg abgeschafft werde oder eine City-Maut zugelassen werde, um das 365-Euro-Ticket zu finanzieren. “Wenn wir könnten, wie wir wollten, wäre es da”, sagt die Grünen-Politikerin.
“Ein einfaches Preismodell, damit mehr Menschen dauerhaft die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen”, fordert auch Frank Nagel, verkehrspolitischer Sprecher der größten Oppositionsfraktion, der CDU. Er lehnt aber einen sofortigen Nachfolger fürs 9-Euro-Ticket ab, da die Stadt zu wenig Geld für den Nahverkehr habe. “Wir müssen das Geld dort einsetzen, wo es am meisten zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV beiträgt, nämlich für Angebotsverbesserungen.” Wichtig sei ” solide und berechenbare Finanzierung des ÖPNV”, zu der auch Einnahmen aus den Fahrkarten zählen. Ohne diese Einnahmen müssten Kommunen ihr Angebot je nach Kassenlage eindampfen. So wie aktuell in Offenbach: Dort hat die Ampelkoalition das Stadtbusangebot erheblich zusammengestrichen, weil Geld im Etat fehlt. Das sei “eine deutliche Warnung”, findet der CDU-Politiker. Er fordert “eine Investitionsoffensive für bessere ÖPNV-Angebote”. Es müssten nun die U4 von Bockenheim nach Ginnheim verlängert und die Ringstraßenbahn gebaut werden. Außerdem fordert Frank Nagel neue Strecken für den Regionalverkehr wie die Regionaltangente Ost in Richtung Wetterau in Zusammenhang mit einem Schienenring um Frankfurt. Dringend müssten auch die Barrierefreiheit vorangetrieben, die Taktzeiten verkürzt und das Rufbus-System Knut auf den Frankfurter Westen ausgeweitet werden.
9-Euro-Ticket als Wegweiser
Also günstige Tickets oder lieber den Nahverkehr ausbauen? “Es muss beides sein, wenn wir die Verkehrswende wollen”, sagt Barbara Grassel, Chefin des Fahrgastverbandes Pro Bahn in der Region Frankfurt. Das 9-Euro-Ticket habe mit überfüllten Regionalzügen ja gezeigt, dass ein besseres Angebot und dafür ein stärkerer Ausbau der Infrastruktur nötig seien. Allerdings sei das 9-Euro-Ticket auch “einfach praktisch” gewesen, weil man “sich nicht über Tarife kundig machen musste”.
Dem stimmen Katharina Knacker und Frank Nagel zu. Doch ist Nagel auch überzeugt: “Für die Attraktivität des ÖPNV ist ein einfaches und transparentes Tarif- und Zahlungssystem wichtiger als der Fahrpreis.” Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hat bereits ein deutschlandweites Nahverkehrsticket für 69 Euro im Monat vorgeschlagen – was immerhin etwas weniger wäre als der Monatspreis von 77,18 Euro der Frankfurt-Jahreskarte.
“Jenseits von Gut und Böse”
“Jenseits von Gut und Böse” seien die 69 Euro, sagt Barbara Grassel. Schließlich kalkuliere der Bund ja selbst damit, dass Menschen mit 30 Euro im Monat für Mobilität auskommen müssten, wie es im Hartz-IV-Satz festgelegt sei. Katharina Knacker wirbt für den Vorschlag der Bundes-Grünen mit einem Regionalticket zu 29 Euro und einem bundesweiten für 49. “Aber das ist keine Frankfurter Entscheidung.” Und die Grüne stimmt der Pro-Bahn-Chefin zu: “Wir brauchen attraktive Preise und den Ausbau.”
“Die Züge waren schon voller”
Immerhin: In Frankfurt haben S- und U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse den Ansturm durch das Billigticket gut ausgehalten. “Die Züge waren schon voller”, sagt Kristine Schaal von Pro Bahn in Frankfurt. Das sei vor allem in Randzeiten und am Wochenende gewesen. Zu diesen Zeiten hätten die Bahnen das Mehr an Fahrgästen gut aufnehmen können.
Dennoch: Einige Regionalzüge, etwa nach Franken, in die Pfalz, an den Rhein und nach Mittelhessen, waren teils überfüllt. Für Katharina Knacker eine wichtige Erkenntnis: “Das zeigt, dass der ÖPNV über die Jahrzehnte vernachlässigt wurde.” Gut sei doch, dass das 9-Euro-Ticket nun die Debatte darüber angestoßen habe. Dennis Pfeiffer-goldmann
KOMMENTAR
Für einen Nahverkehr, der seinen Preis wert ist
VON DENNIS PFEIFFER-GOLDMANN
Das 9-Euro-Ticket für immer: Wer würde dazu nicht Ja sagen? Ich. Das würde zweifellos meinem Geldbeutel gut tun. Doch für Verkehrswende und Umwelt sinnvoll wäre das garantiert nicht.
Nun ärgere auch ich mich über die hohen, regulären Fahrkartenpreise. Und zwar vor allem, weil Fahrgäste viel stärker ihr Verkehrsmittel finanzieren müssen als Autofahrer. Bahn und Bus decken ihre Kosten zu 76 Prozent selbst, größtenteils aus den Ticketeinnahmen. Wer im Auto fährt, muss aber nur 36 Prozent der Kosten tragen, haben Wissenschaftler berechnet. Der Rest kommt aus dem allgemeinen Steuersäckel, also auch von mir. Welch eine Ungerechtigkeit! Die muss die Politik dringend beenden, wenn sie beim Verkehr umwelt- und stadtbewohnerverträglich umsteuern will. Es muss also zugleich das Autofahren teurer werden und es müssen viel mehr Steuergelder an Bahn und Bus fließen. Damit sofort die Fahrkartenpreise zu senken, wäre die falsche Investition. Gerade in Frankfurt gibt es sehr viele sehr gut verdienende Menschen, die eine solche Subvention nicht benötigen. Für die anderen muss das Problem da gelöst werden, wo es hingehört: in der Sozialpolitik.
Wichtiger als ein preiswerter Nahverkehr ist mir ein Nahverkehr, der so gut ist, dass er seinen Preis wert ist. Ich wünsche mir, dass ich nicht von Bornheim 40 Minuten zum Palmengarten oder 50 Minuten nach Bad Vilbel brauche, beides quasi um die Ecke. Ich wünsche mir, dass die Straßenbahn nicht ohne Vorwarnung und Alternative einfach ausfällt und ich 30 Minuten später heim komme. Ich wünsche mir, dass mein Regionalexpress nicht anderthalb Stunden im Baustellen-Chaos verbummelt. Ich wünsche mir, dass es in der S-Bahn nicht nach Kotze stinkt und ich mich am Hauptbahnhof wieder sicher fühle. Wenn es beim 9-Euro-Ticket und dessen Leistung seit Juni bleibt: Dann kaufe ich mir besser wieder ein Auto.
Frankfurt – Der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Römer, Frank Nagel, will den Bau von Fußgänger- und Radwegen parallel zur Trasse der Regionaltangente West (RTW) vorantreiben. “Durch Fuß- und Radwege entlang der RTW kann mit wenig Aufwand viel für überörtliche Fahrradrouten, aber auch für die Nahmobilität getan werden”, so Nagel. “Damit ließen sich neue attraktive Verbindungen für Fußgänger und den Radverkehr schaffen, die das Verkehrsangebot ausweiten und Alternativen zum Autoverkehr bieten. Diese Chance sollte unbedingt genutzt werden!” Zu dieser Idee des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs Frankfurt hat die CDU einen Antrag gestellt, um den Arbeitsauftrag der RTW Planungsgesellschaft entsprechend auszudehnen. Die Realisierung der RTW ist eines der großen Projekte des öffentlichen Personen-Nahverkehrs im Rhein-Main-Gebiet. Sie soll einerseits den Hauptbahnhof und andererseits die westlich von Frankfurt fahrenden S-Bahnen entlasten. “Gerade im Frankfurter Westen fehlt es an überörtlichen Radrouten. Zum Beispiel können mit dem Neubau von Schienenbahnbrücken auch Radwege über andere Verkehrstrassen geführt werden”, so Nagel. “Ampel- und kreuzungsfreie Schnellwege entlang der RTW laden Pendler zum Umsteigen auf das Rad ein, vermindern Staus und führen zu besserer Luft.” Wenn dann noch die Bahnstationen als Bike-and-Ride-Knotenpunkte geplant würden, wäre die RTW Plus eine Regionalverbindung mit hoher Anziehungskraft, hofft Nagel. red