Keine Gefängnisstrafe für Fahren ohne Fahrschein
Frankfurt verzichtet künftig auf Strafanträge bei wiederholtem unbezahlten Fahren in Bus, U-Bahn und Tram
Frankfurt entkriminalisiert das Fahren ohne Ticket. In der Stadt müssen Menschen, die drei Mal ohne Fahrschein in Bus und Bahn erwischt worden sind und das erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro nicht zahlen, künftig nicht mehr mit einem Strafantrag rechnen, der zu einer Haftstrafe führen kann.
Konkret soll der Magistrat die Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) über die Stadtwerke anweisen, auf Strafanträge zu verzichten. Die Nahverkehrsgesellschaft Traffiq soll Gleiches bei den beauftragen Busunternehmen bewirken. Ausgenommen sind der Regionalverkehr inklusive S-Bahnen und der Fernverkehr.
Im Haupt- und Finanzausschuss der Stadtverordneten fand sich am Dienstagabend eine Mehrheit für den Antrag der Linken-Fraktion. Außer der Restkoalition aus Grünen, SPD und Volt stimmten auch Ökolinx-ELF und die Fraktion „Die Fraktion“ zu.
Das verdeutlicht auch die neue, pragmatische Haltung der Restkoalition in Frankfurt: Sie stimmt nun Oppositionsanträgen zu, wenn sie sie inhaltlich richtig findet. Zuvor bekamen ausschließlich Koalitionsanträge eine Mehrheit im Stadtparlament.
Strafanzeigen wegen Fahrens ohne Fahrschein seien „völlig unverhältnismäßig“, sagte Michael Müller (Linke). Mit dem organisatorischen Aufwand seien auch die Verkehrsunternehmen überfordert. Jutta Ditfurth (Ökolinx) wies darauf hin, dass Betroffene im Gefängnis landeten, wenn sie die Geldstrafe wegen des Erschleichens von Leistungen nicht bezahlen könnten: „Dann werden Menschen wegen einer Marginalie ihrer Freiheit beraubt.“
Frank Nagel (CDU) sprach sich gegen den Wegfall von Strafanzeigen aus. Dadurch fehle es an Abschreckung. Katharina Knacker (Grüne) erwiderte, das erhöhte Beförderungentgelt von 60 Euro sei nach wie vor zu zahlen. Es entfalle nur die strafrechtliche Verfolgung.
Martin Huber (Volt) führte aus, die Kriminalisierung belaste Gerichte und den Justizvollzug und führe im ungünstigsten Fall zu einer unverhältnismäßigen Ersatzfreiheitsstrafe mit einschneidenden Folgen für die Betroffenen. Das Thema sei in der Koalition über viele Monate mit der FDP diskutiert worden, ohne zu einer Einigung zu kommen.
Pearl Hahn (Die Fraktion) freute sich darüber, dass nach dem Ende der Viererkoalition im Römer „progressive Mehrheiten“ möglich seien. Sie forderte außerdem, den in der Debatte genannten Begriff „Schwarzfahren“ nicht zu verwenden. Er sei politisch nicht korrekt. Das Thema wird auch in der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag debattiert.
Frankfurt ist nicht die erste deutsche Stadt, die sich für eine Entkriminalisierung einsetzt. Auch Bremen, Bremerhaven, Dresden, Düsseldorf, Halle, Karlsruhe, Köln, Mainz, Münster, Potsdam und Wiesbaden haben das Fahren ohne Fahrschein bereits entkriminalisiert, indem sie darauf verzichten, Strafanträge zu stellen.
In Frankfurt stellte die Verkehrsgesellschaft dem Antrag der Linken-Fraktion zufolge im Jahr 2023 zuletzt 3927 Strafanträge wegen des „Erschleichens von Leistungen“. Hinzu kamen 469 Strafanträge (2023) im Busverkehr, also insgesamt 4396 Strafanträge. Der Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs, der zugrunde liegt, stammt aus dem Jahr 1935, als die Nationalsozialisten Alltagsdelikte kriminalisierten.
Laut einer Studie wendet die Bundesrepublik jedes Jahr etwa 114 Millionen Euro auf, um das Fahren ohne Ticket zu verfolgen, zu verurteilen und die Urteile zu vollstrecken. Wie die Linke in ihrem Antrag festhält, ist ein Großteil der Betroffenen arm und durchleidet psychische oder soziale Krisen: „Die meisten, die eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Fahrens ohne Fahrschein absitzen, sind arbeitslos, jede:r Dritte suchtkrank und mehr als ein Achtel obdachlos. Die Betroffenen sind mit dem erhöhten Beförderungsentgelt und ihrer oftmals ohnehin prekären Lage gestraft genug.“
In Deutschland verbüßen laut der Initiative Freiheitsfonds jährlich rund 9000 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe, weil sie Strafen nicht bezahlen können, die meisten davon wegen des Erschleichens von Leistungen. Der Freiheitsfonds sammelt Spenden, um diese Personen freizukaufen.